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  Sonntag - 07.01.07  
 
„Kopf du lebst…“
Über das Leben der Domino Harvey
  
”Eine wahre Geschichte. Irgendwie“, so warb Tony Scott für seinen Film „Domino“. Es geht um eine junge, hübsche Frau, die mit ihren beiden Partnern, auf Kaution freigelassene Häftlinge jagt. Sie hat ein tolles Leben. Aufregend und schillernd. Sie ist lässig und cool. Eine Frau, die Männer lieben, und die Frauen eingeschüchtert als Konkur- renz ansehen.
 
Wahr. Irgendwie.

An die echte  erinnern sich nur noch wenige. Sie starb kurz bevor der Film beendet wurde. Es war der 27. Juni 2005. Man fand sie in ihrer Badewanne mit einer tödlichen Dosis des heroinähnlichen Schmerzmittels Fetanyl im Blut. Domino wäre zwei Wochen später 36 geworden.

Los Angeles 1994, eine Anzeige in der „L. A. Times“. Kopfgeldjäger gesucht. Zwei-Wochen- Einführungskurs, 300 Dollar Gebühr, bitte melden bei der King Bail Bond Agency.

Domino folgte dieser Anzeige mit 25. Sie hatte sich bereits als Designerin von T-Shirts, die sie in London verkaufte, als DJ und als Feuerwehrfrau versucht. Model ist sie auch gewesen. Als Teenager, genau wie ihre Mutter, Vogue Model Paulene Stone. Auch auf der Schauspielschule hatte sie es versucht, wie ihr Vater, Laurence Harvey, der starb als Domino  vier war.

Domino wurde in einem reichen Stadtviertel in London geboren. Sie bekam alles, was sich mit Geld bezahlen ließ, doch elterliche Liebe hatte sie nicht. Nachdem der Vater gestorben war, heiratete die Mutter erneut, ging nach Los Angeles und ließ Domino in einem Internat zurück. Dort rebellierte sie, raufte sich mit Schülern, legte sich mit Lehrern an, riss ihren Puppen den Kopf ab und flog mehr als einmal von einem dieser Eliteinstitute. Sie war auf der Suche nach Herausforderungen, nach dem nächsten Kick. Sie wollte mehr sein, als die anderen. Wollte jemand anderes sein, nicht die, die sie noch war.

Mit 20 folgte sie ihrer Mutter nach Amerika und musste sich erst einmal einem Drogenentzug entziehen. Sie hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, bis sie das fand, was sie gesucht hatte: Eine Bestimmung.

Sie nahm an dem Kopfgeldjäger-Kurs teil, der von Ed Martinez, einem Vietnamveteran, gehalten wurde. Zwei Wochen später gehörte sie zu seinem Team und ging mit ihm auf Verbrecherjagd. Bei rund 50 Verhaftungen war sie mit dabei. Lohn der lebensgefährlichen Arbeit waren zehn Prozent der Kaution. Davon ließ sich leben, doch reich wurde sie damit nicht. Domino war das egal. Sie liebte, was sie tat und sie war ihrer Zeit weit voraus. Nicht nur, dass es ungewöhnlich war, dass eine Frau als Kopfgeldjägerin arbeitete, der Beruf hatte sich auch noch nicht etabliert.

Wenn man so will, war Domino eine Trendsetterin. Die Presse begann sich für sie zu interessieren und bald darauf entdeckte sie auch Tony Scott. Doch es würde noch 10 Jahre dauern, bis er ihren Film realisieren konnte. Er sagt, sie sei für ihn wie eine Tochter gewesen, doch helfen konnte er ihr genauso wenig wie ihre Mutter Paulene.

Für Domino folgte ein Entzug auf den anderen. Nach ihrem letzten versuchte sie zur Ruhe zu kommen, zog sich aus dem Geschäft zurück, doch sie blieb, wer sie war: Ein wahrer Abenteuer, der, wie sie sagte, immer vorwärts ging, „ziellos, nicht berechenbar, um dem unbekannten Schicksal zu begegnen und es zu begrüßen.“

Ihr Schicksal war im Mai 2005 die Anklage, sie würde zu einem Drogenring in Mississippi gehören. Gegen eine Kaution von einer Million Dollar kam sie nach Hause, doch sie wusste, dass ihr eine bis zu 10 jährige Gefängnisstrafe drohte.

Ob Domino an ihrem letzten Abend die Überdosis absichtlich nahm oder es ein Versehen war, konnte die Gerichtsmedizin nicht feststellen.

Wollte Domino Harvey sterben? Wer ihre letzten Aufnahmen sieht, will verneinen. Da sieht sie nachdenklich, aber zufrieden, in die Kamera. Sie freut sich auf die Premiere ihres Films, will dabei sein, und ihn nicht als Vermächtnis hinterlassen. Und doch wirkt sie angekommen, nicht wie jemand, der noch viel vom Leben erwartet.

Nach ihrem Tod sagte ihr Onkel den Medien: „Domino wollte nicht ein ganz normaler Mensch sein, sondern eine Legende.“

Domino ist eine Legende geworden, durch einen eigenen, außergewöhnlichen Weg und einen frühen, tragischen Tod. Mit Erinnerungen an ein extremes Leben, an ein Leben mit einem Traum, und mit einem filmischen Denkmal.

„…Zahl du stirbst“
 
© Esther Klung
 
Foto: Okt/Nov 1994 in der VLife
 
 
 
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